Tobias - V.a. TM

Ihr wollt wirklich wissen wie es war?

Dann habt bitte Verständnis, dass ich nicht jedem meine Story erzählen kann. Dies ist zu einem mit der Zeit sehr müßig, zum Anderen nicht Vorteilhaft für meine weitere Genesung.

Hier also ein kurzer Abriss:

28.07.2002 (Sonntag) TAG 01

Der Tag begann mit starken Rückenschmerzen im Lendenwirbelbereich. Diese wurde von Stunde zu Stunde stärker, so dass es eine schlaflose Nacht auf Montag wurde. (Trotz einer halben Packung Paraceta mol)

29.07.2002 (Montag) TAG 02

An einen normalen Arbeitstag nic ht zu denken! Extreme Schmerzen im Lendenwirbelbereich, und was ist mit den Füßen los???? Ein leichtes taubes Gefühl im linken Fuß, sowie ein permanentes Kribbeln in beiden Füßen gibt mir zu denken (wenn man mit diesen Schmerzen überhaupt noch denken konnte).

Fahre gleich zum Hausarzt (was machen nur all die älteren Leute um diese Zeit beim Arzt ?!?!? Ich drängele mich vor.). Es besteht Verdacht auf Bandscheibenvorfall. Es gibt eine Überweisung und ab geht es zum Orthopäden nach Geisenheim. Ein überfülltes Wartezimmer und extreme Schmerzen lassen mich nach einer Stunde fluchtartig in die nächste Apotheke verschwinden. Mit einer hohen Dosis Schmerztabletten lässt sich das Warten besser ertragen! Ich komme dran. Ich schildere die Symptome und werde geröntgt. Der Arzt kann nix an meiner Wirbelsäule erkennen. Er drückt nach schnell sein Knie in meinen Rücken bis es kracht, und erwähnt, das am nächsten Tag wahrscheinlich alles wieder OK ist. Vermutlich war nur ein Nerv eingeklemmt.

Da die Schmerzen jetzt weniger wurden (logisch nach 3 starken Schmerztabletten), glaubte ich dem Mann in Weiß und machte mich auf den Weg nach Hause. Seltsam, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Kupplung heute sehr schwergängig war.19:00 Uhr - ich habe ein wenig geschlafen und die max. Dosis an Schmerztabletten (8 Stück) Indus. Die Schmerzen wurden aber trotzdem stärker. Also ab in's Auto und zur Notapotheke nach Kiedrich. Der Apotheker gibt mir Zäpfchen gegen die Schmerzen, welche einen anderen Wirkstoff enthielten als die Tabletten zuvor. Die Nacht war eine Katastrophe! Alle 2 Stunden pfefferte ich mir so einen Torpedo in den Hintern - aber die Schmerzen wurden nicht weniger.

30.07.2002 (Dienstag) TAG 03

Endlich 7:00 Uhr! Anziehen und nix wie wiederzum Hausarzt. - Denkste!!! Was ist mit meinen Beinen los!?!?!? Das Linke ist schon bis in den Oberschenkel taub, dafür ist das Kribbeln weg (ganz toll). Das Rechte kribbelt und ist bis zum Knie etwas taub. (Bitte verlass du mich wenigstens nicht - denke ich laut.) Meine Frau ist mehr als besorgt. John wird schnell bei der Oma abgegeben, welche sich extra Urlaub genommen hat. Ulrike (der Name meiner Frau) muss fahren. (Das nächste Auto wird ein Automatik.) Ich hinke in die Praxis meines Hausarztes. Dieser erkennt sofort den Ernst der Lage und stellt mir eine Einweisung als NOTFALL in eine Orthopädische Spezialklinik nach Wiesbaden.

Dort angekommen sind alle über meine BKK-Mitgliedschaft geschockt. Ich muss ins Wartezimmer mich hinten anstellen. Mein Verständnis dafür, dass irgendwelche Patienten, welche zum wöchentlichen nachschauen Ihrer komplexen Bein oder Armbrüche vor mir dran kommen ist gleich Null! Ich kann nicht mehr Sitzen - die Schmerzen sind zu stark, ich kann nicht mehr stehen - die Schmerzen sind zu stark. Ich versuche ein wenig zu laufen - wie ging dies noch mal richtig? Mein linkes Bein wirkt ein wenig fremd und schwach. Ich gehe auf die Toilette. Seltsam, seit wann ist denn das Wasserlassen so anstrengend? Und he, meine linke Pobacke wird ja immer tauber!

ENDLICH nach über einer Stunde (ich bin ja nur ein Notfall, was rege ich mich eigentlich auf ???) komme ich dran, dies heißt, zumindest mal in das Behandlungszimmer. Die Schmerzen werden stärker (was eigentlich schon nicht mehr möglich war). Ich atme tief durch und versuche den Arzt, falls er überhaupt einmal kommt, nicht direkt zu beleidigen oder ausfallend zu wirken.

Die Tür geht auf. Ich habe mich schon auf die Liege gelegt und bin am Tiefatmen. (Kenne ich von der Geburt meines Sohnes) Ich erzähle schnell was los ist und werde untersucht. (vielleicht 2 Minuten). Der Arzt gibt seine Ratlosigkeit zu. Er verschwindet und kommt 5 Minuten später mit dem Chefarzt der Klinik zurück. Ich erzähle alles von vorne und werde erneut untersucht. Auch dieser Mann der Medizin ist ratlos. Ohne eine Kernspindtomografie (dies ist die berüchtigte Röhre), kann er kenne Diagnose stellen.

Leider ist diese Klinik nicht im besitzt eines solchen Gerätes, und so wurde nach einem schnellstmögliche Termin in allen Kliniken im Umkreis gefragt. Um ca. 12:00 Uhr teilte man mir dann einen Termin am nächstem morgen um 11:00 Uhr im Paulinenstift mit. Ich solle dann wiederum einen Tag später (Donnerstag) mit den Bildern vorbeikommen, da Sie Mittwoch Nachmittags keine Zeit mehr für mich hätten. Des weiteren hätten sie die EINWEISUNG vernichtet, da ein stationäre Aufnahme nicht von Nöten wäre. Ich solle am Donnerstag dann eine Überweisung von meinem Hausarzt mitbringen. Auf Grund meine Bemerkung über die trotz Schmerzmittels extrem starken Schmerzen wurden mir die absoluten Hammer-Pillen verschrieben.

Ich hatte in diesem Moment noch Hoffnung das alles nicht so schlimm sei und Ulrike fuhr mit mir nach Hause. Dort informierte ich unsere Geschäftsleitung, schluckte gleich mal 2 Tabletten und versuchte die Zeit bis zum nächsten Tag mit schlafen rumzukriegen. Die Tabletten wirkten.

31.07.2002 (Mittwoch) TAG 04

Ich kam endlich mal zu ein paar Stunden Schlaf und wachte am nächsten Morgen auf. Die Schmerzen waren zwar da, aber deutlich leichter als am Tag zuvor. Ich dachte noch super, alles halb so schlimm und schwang mich aus meinem Bett - PENG da lag ich auf der Schnauze! Wo ist mein Linkes Bein? Kein Gefühl mehr vorhanden und die Kraft eines Kleinkindes! Ich schleppt mich ins Bad und machte mich fertig. Als ich zum Frühstücken in die Küche schleppte, zog es mir erneut die Beine weg und ich lag auf den Kacheln im Flur. Mein Sohn kam gelaufen und ich konnte mich nicht mehr beherrschen und mir stiegen Tränen in die Augen. In diesem Moment merkte ich das ich völlig hilflos war, hatte doch auch das Wasserlassen zuvor nur durch größte Konzentration und Anstrengung funktioniert.

Ulrike rief meinen Vater, welcher mir schnell eine Krücke besorgte (ein Erbstück meines Opas). Ich rief meinen Hausarzt an und erklärte ihm den Ernst der Lage. Wieder zögerte er nicht lange, und nur 20 Minuten später hielt ich erneut eine EINWEISUNG als NOTFALL in den Händen. Diesmal gingen wir aber auf Nummer sicher und mein Hausarzt machte telefonisch bei der HSK in Wiesbaden auf mein Kommen aufmerksam.

Als erstes ging es in die Röhre im Paulinenstift. Leider teilte man mir nach der Prozedur mit das die Maschine soeben den Geist aufgegeben hatte und die Aufnahmen nicht brauchbar seien. Ich wurde zu einer Gemeinschaftspraxis in Wiesbaden/Stadtmitte geschickt und kam dort sofort wieder in die Röhre. (Seltsam wie schnell man als jetzt scheinbar echter NOTFALL behandelt wird .) Die Maschine hielt durch. Man erzählte mir was von einer Entzündung in der Wirbelsäule und schickte mich zu den Fachärzten in die HSK. Ich war erst einmal erleichtert! Kein Bandscheibenvorfall, dies war jetzt schon mal klar. Mein Gott, eine Entzündung kann so schlimm ja nicht sein. Man bekommt ein entzündungshemmendes Medikament und 1-2 Tage später ist alles wieder paletti, dachte ich (ich hatte ja keine Ahnung!!!).

In der HSK schaffte ich nur noch die ersten Meter mit Krücke. Jetzt war alles vorbei, meine Beine waren Kraftlos und wollten nicht mehr so wie ich wollte. Ulrike schnappte den nächsten Rollstuhl den sie fand. (ich nutze nun diese Gelegenheit mich bei der Person zu entschuldigen, welche gerade im KIOSK oder auf dem Klo gesessen hat. Ich hoffe es hat sich ein neuer Rolli gefunden und Sie sitzen hoffentlich nicht noch immer hilflos darum.)

Nach 2 weiteren Stunden und ein paar hoffnungslosen Versuchen mich meines Urins zu entledigen wurde ich von einer Ärztin ziemlich gründlich untersucht. Jedoch gab sie Ihre Unerfahrenheit mit einer solchen Entzündung zu und zog einen älteren Kollegen hinzu.

Dieser machte mir Mut ohne sich jedoch näher zu äußern. Anschließend ließ man mich mit voller Blase bis 17:00 Uhr warten. Jetzt ging jedoch alles recht schnell. Ich kam erst einmal in die Notaufnahme und es wurde mir ein Katheter gesetzt. (Die Taubheit hatte nun zum ersten Mal auch Ihre Vorteile.)

Es kamen weitere Ärzte welche mich untersuchten und befragten, erneut untersuchten und erneut befragten, wieder untersuchten und wieder befragten. Ich hatte das Gefühl zu einem kleinem Sorgenkind geworden zu sein. Man erzählte mir was von einer Lumbalpunktion, und noch bevor ich die Risiken gelesen und mein schriftliches Einverständnis gegeben hatte, saß auch schon eine Kanüle zwischen meinen Rückenwirbeln und man saugte mein kostbares Rücken- bzw. Hirnwasser in kleine Röhrchen ab. Der Schmerz war recht gering und ich war froh, das mir jetzt endlich geholfen wurde. 2 Stunden später stand das erste Ergebnis dieser Untersuchen fest. NIX, absolut nix konnte der Mediziner feststellen. Also taten sie was alle hilflosen Schulmediziner tun: Kortison und Antibiotika intravenös bis zum Abwinken. Ich wurde auf mein Zimmer verlegt und schlief, nach dem sich noch ungefähr 200 Ärzte und 500 Krankenschwestern bei mir vorgestellt hatten, entkräftet ein.

01.08.2002 (Donnnerstag) TAG 5

Mein erster Tag im Krankenhaus. Frühstück – ein Hunger. Und dann starteten eine Reihe weiterer Untersuchungen: Erneut Kernspinn (Röhre), SEP, EEP und weitere nette Versuche mit meinem hilflos an das Bett gefesselten Körper. Und dann kam erneut ein Arzt vom Tag zuvor. Im übrigen sollte ich vielleicht noch erwähnen, dass mein Gesundheitszustand sich verschlechtert hatte. Mein linkes Bein hing wie ein Fremdkörper an meinem Gesäß, welches mittlerweile bis auf die Hälfte meiner rechten Pobacke komplett taub war. Ich konnte nicht einmal mehr mit meinen Fußzehen wackeln. Dieses Gefühl näher zu beschreiben macht meiner Ansicht keinen Sinn, da niemand in der Lage sein wird dies nachzuvollziehen. Selbst ich habe heute keine genauen Vorstellungen mehr davon wie die Zeit mit der totalen Lähmung meines linken Beines und linken Pobacke war. Gut das man dies vergessen bzw. verdrängen kann!

So, es kam also erneut dieser Junge Arzt und wollte mir an mein Hirnwasser. Kein Thema dachte ich. War ja am Tag zuvor auch ohne Probleme verlaufen. Ulrike war bei mir. Ich saß auf der Bettkante, Ulrike hielt mir die Hand und der Arzt stieß nach einer Betäubungsspritze zu. SCHMEEEEEEERRRZZZZ!!!!!!!! Ich hörte wie er etwas nuschelte und mit seinem platzieren der Nadel nicht zufrieden war. Also gleich noch mal und noch mal, bis die ersten Tropfen kamen und ich in den Armen meiner Frau zusammenbrach. Er war zwar nicht zufrieden mit der Flüssigkeit, da diese durch Blut verunreinigt war, startete aber keinen neuen Versuch. Der blutige Amateur!!! Wie ich Wochen später erfuhr, muss man nach dieser Prozedur innerhalb kürzester Zeit 3 Liter Wasser zu sich nehmen, damit der Körper die verlorene Hirnflüssigkeit wieder erneuern kann. Dies hatte mir beim ersten Mal aber kein Mensch erzählt. Am Tag darauf war so natürlich nicht mehr viel zu holen. So kam es zu den befürchteten Nebenwirkungen. Es entstand ein Unterdruck in meinem Kopf.

Der Aufenthalt in der HSK:

Die folgenden zweieinhalb Wochen litt ich nun unter extremen Kopfschmerzen. Ich futterte jeden Tag 8 Paracetamol und konnte nur liegen bis mein Rücken wund wurde. Ich konnte nichts lesen oder fernsehen. Ich konnte außer meiner Familie keinen Besuch vertragen und es war nur für kurze Zeit möglich das Bett ein wenig in die Sitzstellungen zu bringen. Ich konnte nur noch an meine Kopfschmerzen denken, was jedoch zu noch stärkeren Schmerzen führte. Insgesamt lag ich 6 mal in der Röhre. Es wurde meine Nervenleiterbahnen getestet (nett, da bekommt man Nadeln in den Kopf gesteckt.), meine Sinnesorgane, ich wurde geröntgt, es wurde ein EKG gemacht, es gab Ultraschalluntersuchungen am Herzen und mein Blut wollten sie auch ständig haben. Auf gut deutsch: Es war mit Abstand die beschissenste Zeit meines Lebens. Das Schlimmste waren die Besuche von meinem Sohn. Dies war kam zum Aushalten. Es zerriss mir das Herz. Ich wollte doch so viel mit unternehmen. Fußballspielen oder andere Sportarten schienen in weite Ferne gerückt. Verdammt, ich konnte mir nicht einmal vorstellen ihm jemals wieder die Hand zu reichen und nur ein paar Schritte zu laufen. Schritte, laufen, springen, was ist das dachte ich. Konntest Du dies wirklich einmal. Dies war eine unheimliche Belastung. Gegen diese Schmerzen im Herzen waren die permanenten Kopfschmerzen wie Plätzchen backen.

Ich bat meine Frau darum John nicht mehr mitzubringen, aber Sie bestand darauf, dass er mich regelmäßig sah. Die ersten Pläne für einen Selbstmord nahmen nach 7 Tagen Krankenhausaufenthalt immer konkretere Formen an.

Ich hatte keinen Stuhlgang mehr und man musste mir mechanisch weiterhelfen. Wasserlassen war so wie so nicht mehr möglich und mein Sehschärfe wurde immer schlechter. (Auch eine Nebenwirkung der Lumbalpunktion) Das Verrückte war aber, ich bemitleidete mich kein bisschen. Sollte ich meine Beine oder zumindest das rechte Bein verlieren - egal. Ein Leben im Rollstuhl - egal. Den Rest meines Lebens ein Krüppel - egal. Aber nie wieder mit meinen Kindern (Ulrike war zu diesem Zeitpunkt im 6. Monat schwanger) im Garten herumzutollen, ihnen nicht bei den ersten Schritte oder bei den ersten Versuchen auf dem Fahrrad helfen zu können machte mich fertig. Aber auch an diesen Gedanken gewöhnte ich mich langsam. Ich würde bestimmt auch andere Wege finden ein guter Vater zu sein. Was für mich allerdings unvorstellbar war und auch heute noch ist, den Rest des Lebens (und der kann mit 27 noch verdammt lang sein) ein Pflegefall zu sein. Mein Unterleib war tot. Meinen Bedürfnissen konnte ich nicht mehr nachgehen. Sollte meine Frau mich bis zum Ende pflegen?

Katheter wechseln, Einlauf machen und mich waschen? Ja waschen! Wenn man keine Beine zum Stehen hat muss man nämlich sitzen, und jetzt verrate mir mal jemand wie man sich im Sitzen gescheit den Hintern waschen soll???

Wenn jetzt jemand denkt, der Solger übertreibt aber ganz schön, der kann doch heute wieder laufen - also war das Ganze doch gar nicht so schlimm, dann kann ich ihn verstehen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bzw. meine Frau (mir hat sie nicht alles erzählt, konnte es mir jedoch denken) von den Ärzten folgenden Aussagen: Es handelt sich um eine Myelitis. ,,Dies ist eine Entzündung des Rückenmarks. Leider konnten wir nicht feststellen woher diese kommt. Wir vermuten durch eine übergangene Sommergrippe. Wir geben 10 Tage das Maximum an Kortison und Antibiotika, sowie ein Serum gegen Bakterien von Zeckenbissen. Dies ist alles was man tun kann. Wenn dies keine Wirkung zeigt, muss man abwarten was die Zeit bringt. Vielleicht dauert es 3 Monate bis Bewegung in die Beine kommt, vielleicht aber auch 7 oder 12 Monate. Wenn dies passiert wird es noch einige Zeit dauern bis man wieder laufen kann - wenn man jemals wieder laufen kann. Sie müssen verstehen das wir keine festen Aussagen treffen können."

Der Aufenthalt in der Früh-REHA:

Was ich in der Früh-REHA sollte war mir nicht ganz klar. Wie sollte ich mit einem Körperteil trainieren, welches ich noch nicht einmal zum Zucken bringen konnte (wehe denen, welche an ein ganz bestimmtes Körperteil denken). Dies sahen die Physiotherapeuten genauso. Sie waren zunächst ein wenig verzweifelt. Also gingen sie vom Schlimmsten aus: Der Patient bleibt erst einmal gelähmt. Also wurde fix ein Rollstuhl, Behindertenausweis, Toilettenstuhl usw. beantragt. Des weiteren wurde geplant wie man unser Haus am Besten behindertengerecht umbauen könnte. Es wurde mir auch vorgeschlagen eventuell eine neue Wohnung im EG ohne Treppen zu suchen. Diese erste 3 Tage waren also alles andere als aufbauend für mich. Ich wurde aufgegeben. Ein Trip nach Holland wurde also immer realistischer. Ein Pflegefall mit 27 - für mich unvorstellbar!

Doch dann flachten meine Kopfschmerzen ein wenig ab. Mit der richtigen Menge an Tabletten konnte mich jetzt 1-2 Stunden am Stück in den Rollstuhl wagen. Nach 14 Tagen war ich also wieder mobil. Ein tolles Gefühl! Ich wagte einen Blick in den Badespiegel. So schlecht sah ich doch gar nicht aus! Ich konnte halt nicht mehr laufen und meinen Bedürfnissen nachgehen aber ansonsten sah ich doch recht lebendig aus! Dies motivierte mich - zumindest zwischen den Phasen in denen die Kopfschmerzen sehr stark waren. Meine Muskulatur rund um die Halswirbelsäule hatte sich nach 14 Tagen flach im Bett auch zurückgebildet. So viel es mir die folgenden Tage noch sehr schwer den Kopf länger als 2 Stunden hochzuhalten. Da es für mich keine Medikamente gab besorgten viele liebenswerte Menschen die verschiedensten homöopathischen Mittel, heilende Steine, Bücher über Heilung mit dem Geiste oder Biochemie, Unterarmtrainer, Terrabänder, BIO- Säfte u.v.m. Allen sei an dieser Stelle noch einmal gedankt. Ohne ihre Unterstützung säße ich heute höchst wahrscheinlich immer noch im Rollstuhl. Ich versuchte jetzt alles und was vor allem wichtig ist, ich glaubte und glaube noch heute daran. Von nun an war ich überzeugt von meiner Genesung. Die Kopfschmerzen gingen zurück, ich konnte auch langsam immer schärfer sehen.

Und dann passierte es. Die ersten Muskeln begannen leicht zu zucken. (Man musste schon genau hinsehen und es auch unbedingt sehen wollen). Die Physiotherapeuten legten mittlerweile auch los. Sie bewegten meine Beine und gaben mir das Gefühl das diese noch immer zu meinem Körper gehörten. Und siehe da, die Muskeln zuckten immer mehr. Nach 5 Wochen machten ich die ersten Schritte aus meinem Rollstuhl. Mit einem so genannten Rollator (eine Gehhilfe mit Bremse und Sitzbank für den Fall das man nicht mehr kann) konnte ich nun die ersten Meter zu Fuß zurücklegen. Der Blickwinkel aus dieser Höhe war ich gar nicht mehr gewohnt. Es fühlte sich verdammt gut an auf seinen eigenen Beinen zu stehen. Mein linkes Bein musste wurde zwar noch mit einer Schiene stabilisiert, aber ich brauchte keinen Rollstuhl mehr. Diesen nahm ich jetzt nur noch für größere Strecken (z.B. zum Speisesaal ca. 100m Weg). Ich machte immer mehr Fortschritte und traute mir auch wieder viel mehr zu. Ich wollte nicht mehr wie ein Krüppel behandelt werden. Ich zog mich Treppen hoch und schleppte mich die gleichen wieder runter. Der Fahrradtrainer auf dieser Station wurde mehrmals täglich gequält. Ich war wieder der alte. Jetzt freute ich mich auch über Besuch, welchen ich die ersten 4 Wochen zum größten Teil noch abgeblockt hatte.

Den größten Schritt machte ich an einem Freitag. Den Freitag Abend vor meiner Entlassung aus der Reha in Wiesbaden werde ich wohl nie vergessen. Ich schleppte mich auf Krücken mit einer Schiene an meinem schwachen linken Bein in den Aufenthaltsbereich am Klinikeingang und setzte mich in einen Cocktailsessel. Ich hatte ein Buch dabei. Ein Buch welches ich nicht mehr missen wollte. Ich las die ersten 100 Seiten. Ich war sofort überzeugt von dem was ich gelesen hatte. Ich verschwendete keine Zeit und wendete einer der Methoden der ersten 100 Seiten an. Ich kontext-centere mich und nahm nach kurzer Zeit keinen Menschen mehr um mich war. Eine innere Kraft wurde hervorgerufen. Ich fühlte mich stärker und stärker. Nach ca. 10-15 Minuten war ich felsenfest davon überzeugt, dass ich wieder ohne Hilfsmittel gehen könnte. Eigentlich im nachhinein verrückt, hatte doch Oli mein Trainer, welcher übrigens fantastisch gearbeitet hatte, am Vormittag versucht mich ohne Krücken auf die Beine zu stellen. Ich schaffte es nicht mein Bein ausgestreckt zu lassen und sackte immer wieder in mich zusammen. Ich zog hoch kontext-center, mein Ziel dicht vor den Augen, meine Schiene aus, lies die Krücken stehenund stand einfach auf. Ich ging ohne zu zögern quer durch die ganze Eingangshalle und wieder zurück, setzte mich und hätte vor Freude laut Schreinen können. Ich hatte es geschafft! Nach 6 Wochen hatte ich die ersten Schritte gemacht. Was ist doch ein Wimbledon- Sieg oder eine Fußball-Weltmeister-Titel wertlos gegen diesen Triumph. Ich sagte niemanden etwas (dies viel mir sehr, sehr schwer!). Am Samstag kam mein Schwager und wollte mich zu einem Ausflug mit nach Hause nehmen. Ich saß im Flur und bearbeitete den Fahrradtrainer als er mir entgegen kam. Ich schnallte meine Füße ab, nahm die Schlingen von meine Beinen, schob meinen Rollstuhl zurück, zog die Bremse an, stieg auf und ging auf ihn zu. Mein Neffe Marcel, welche dabei war strahlte über das ganze Gesicht, sein Onkel war wieder der alte. Meinem Schwager blieb nur der Mund offen stehen. Sicher meine Gangart war noch ein wenig eckig, aber dies spielte keine Rolle. Die Freude meiner Frau und meiner ganzen Familie kann man sich ja vorstellen. Viele wirkte ein wenig ungläubig und konnten dies gar nicht sofort begreifen. Hatte doch kaum Zeit gehabt sich daran zu gewöhnt das ich schon mit Krücken und Schiene gehen konnte.

Am Montag darauf wurde ich entlassen und in die Reha nach Bad Camberg verlegt. Vorher schaute ich aber noch bei meine Physiotherapeuten vorbei und verabschiedete mich im Stehen ohne Hilfsmittel. Vor lauter staunen fehlten Ihnen ein wenig die Worte.

Ungläubig wurde mir gratuliert, doch nach 5 Minuten sah man die Freude in Ihren Gesichtern. Ich war der einzigste Patient in dieser Reha unter 30. Ich hatte keinen Schlaganfall und auch keinen Gehirntumor entfernt bekommen. Ich war ein absolute Sonderfall und es hatten sich alle richtig reingehängt um mich wieder fit zu kriegen, waren wir doch alle in etwa gleich alt.
Zu erwähnen wäre auch noch das ich die erste Reha ohne Katheter verlassen konnte. Es funktionierte zwar noch nicht alles so wie früher, aber man konnte damit und einer Einlage in der Hose leben.

Der Aufenthalt In Bad Camberg

In Bad Camberg begann ein neues Kapitel. Neue machtlose und erstaunte Ärzte, nette Physiotherapeuten und nette Patienten. Hier verbrachte ich weitere 4 Wochen. Es wurde an den noch schwachen Muskelpatin gearbeitet. An meiner Gangart gefeilt, und mit einer Reizstromtherapie meine Muskeln gelockert. Die meisten Muskeln, soweit sie sichtbar waren, waren verkürzt. Bestimmte Bewegungen waren also nicht möglich. Jetzt hieß es viel laufen und dehnen. Hierfür brauchte ich keine Motivation. Ich genoss jeden Schritt und trainierte meine Muskeln sowie meinen Gleichgewichtssinn.

Der aktuelle Stand:

10 Wochen sind jetzt vorbei. Wenn ich normal laufe sieht man mir nichts an. Morgens, nach dem Aufstehen, gehe ich allerdings noch ein wenig unrund. Ich muss noch viel laufen und trainieren um wieder zu meiner alten Kraft zurückzufinden. Dies wird noch ein langer Weg. Mein linkes Bein sowie mein Gesäß sind immer noch taub. Ich empfinde hier zwar keine Schmerzen aber leide an einer erhöhten Sensibilität. Dies bedeutet, dass meine Haut sehr empfindlich ist. Der Stoff einer Hose schmerzt beim Gehen. In den Knie- und Fußgelenken hat man die Wahrnehmung es würden die Knochen aufeinander reiben. Schmerzmittel helfen hier nicht weiter, da dies keine echten Schmerzen sind. Es gibt keine Medikament, welches diese Sensibilitätsstörungen lindert. Jedoch macht dies so müde, dass man nicht mehr richtig trainieren kann. Ich dosiere diese also sehr gering nehme es am Abend. So schlafe ich in der Nacht wie ein Murmeltier.

Ich danke hier noch einmal allen, die an mich Gedacht und mit mir auf eine schnelle Gesundung gehofft haben. Dies hat mich auch vorangebracht. Alle anderen haben halt Pech gehabt! Ich bin wieder zurück - mich wird man so schnell nicht los!

Never give up!!!